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"Einer für alle oder doch jeder für sich?" - der Thüringer Weg zum OZG

Im Rahmen des Programms Sozial & Digital in Zusammenarbeit mit der Helmut Schmitt Universität und d.tec bw konnten wir 3 Landkreise gewinnen mit denen wir Projekte konzipiert haben in denen durch smarte Digitalisierung komplexe Prozesse im Sozialamt verbessert werden! ‍Wir sprechen mit Matthias Herrling - unser Pate im Kyffhäuserkreis, der unseren Macher Christoph im Projekt "Papierlose Sozialverwaltung" unterstützt und die Herausforderung eingebracht hat.

Erfolgsgeschichte
March 27, 2025
September 28, 2024
Autor
Autorin
Autor:in
Dustin
Savarino

LP: Matthias, warum hat sich Thüringen für einen eigenen Weg beim OZG entschieden?

MH: Viele Kommunen in Thüringen verfolgen den Ansatz, von der Antragsplattform direkt ins Dokumentenmanagementsystem (DMS) zu gehen und erst danach ins Fachverfahren, da wir in der Nutzung der E-Akte unser DMS als zentrale Drehscheibe sehen. Dabei ist uns wichtig, auf etablierte und standardisierte Schnittstellen und Übertragungswege zu setzen, um die Interoperabilität zu gewährleisten.

LP: Welche Vorteile seht ihr in diesem individuellen Ansatz?

MH: Unser individueller Ansatz bietet entscheidende Vorteile in Bezug auf Kosteneffizienz und Effektivität. Da wir ohnehin bidirektionale Schnittstellen zwischen unseren Fachverfahren und dem Dokumentenmanagementsystem (DMS) für die E-Akte benötigen, ist es besonders wirtschaftlich, eine zentrale Schnittstelle vom Antragsportal zum DMS zu schaffen. Anstatt für jedes der vielen Fachverfahren separate Schnittstellen zu entwickeln, bündeln wir die Anträge der Bürger in einem DMS und verteilen sie von dort aus. Dies reduziert nicht nur die Komplexität, sondern spart auch erhebliche Kosten. Zudem ermöglicht uns die bundesweite Fit-Connect-Schnittstelle einen einheitlichen und sicheren Übertragungsweg, der sich kostengünstig in bestehende Systeme integrieren lässt. Dieser Ansatz nutzt vorhandene Ressourcen optimal aus und gewährleistet gleichzeitig eine effiziente und sichere Datenverarbeitung.

LP: Welche Herausforderungen bringt dieser Weg mit sich?

MH: Die größte Herausforderung bei diesem Ansatz liegt im jeweiligen Antragsportal selbst. Diese wurden bis Ende 2023 vom Bund gefördert, aber mit dem Auslaufen der Förderung ist die Weiterentwicklung schwierig geworden, und die Kostenverteilung ist unklar. Im Rahmen der "Einer für Alle" (EfA)-Lösungen wurden verschiedene Bundesländer mit der Entwicklung bestimmter Leistungen beauftragt, was zu unterschiedlichen Ausschreibungen und einer Vielzahl von beteiligten Firmen führte. Das Hauptziel war, innerhalb des Förderzeitraums Ergebnisse zu liefern, was jedoch oft zu Lasten einer langfristigen Planung und Integration ging.Leider führte dies auch dazu, dass essenzielle Komponenten wie die Fit-Connect-Schnittstelle nicht von Anfang an integriert wurden. Jetzt stehen wir vor der Herausforderung, diese Versäumnisse nachträglich zu korrigieren, weil unser Ziel darin besteht, ein funktionierendes und nachhaltiges OZG für die Bürger anzubieten und nicht bloß eine Scheindigitalisierung voranzutreiben. Wir möchten sicherstellen, dass die Lösungen langfristig stabil und zukunftsfähig sind, anstatt schnell eine unvollständige Lösung zu präsentieren.

LP: Wie wird die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Fachbereichen sichergestellt?

MH: Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Fachbereichen wird durch regelmäßig stattfindende Abstimmungsrunden interdisziplinärer Teams sichergestellt. Diese Teams stellen sicher, dass alle relevanten Perspektiven berücksichtigt werden, insbesondere auch die Bereiche IT-Sicherheit und Datenschutz. So wird gewährleistet, dass die Projekte umfassend und unter Berücksichtigung aller wichtigen Aspekte entwickelt und umgesetzt werden.

LP: Wie geht der Kyffhäuserkreis mit dem Thema Fachverfahren um? Wie steht es da um Kooperation und siloübergreifende Zusammenarbeit?

MH: Unser Ziel ist es, zumindest innerhalb des Bundeslandes einheitliche und moderne Fachverfahren mit standardisierten Schnittstellen zu etablieren. Eine Umsetzung kann zumeist nur unter Berücksichtigung des aktuellen Haushaltes und der Beachtung von Vergabeverfahren erfolgen. Um dennoch Fortschritte zu erzielen, arbeiten wir häufig mit anderen Kommunen zusammen, um gemeinsame Lösungen zu beschaffen – wie es bereits erfolgreich bei DMS-Systemen und einer Terminvergabesoftware der Fall war. Durch regelmäßige Vernetzung und Kooperation über die Kommunengrenzen hinaus können wir so wesentlich mehr erreichen und Synergien effektiv nutzen.

LP: Welche Kriterien sind bei der Auswahl von Fachverfahren entscheidend?

MH: Es geht darum, eine optimale Balance zwischen Kosten und Nutzen zu finden. Für die Mitarbeiter spielt eine intuitive und übersichtliche UI eine wesentliche Rolle, um die tägliche Arbeit effizient zu gestalten. Darüber hinaus müssen alle erforderlichen Funktionalitäten vollumfänglich vorhanden sein, um den operativen Anforderungen gerecht zu werden. Standardisierte Schnittstellen zu anderen Systemen sind unerlässlich, um eine reibungslose Integration und Kommunikation zu gewährleisten. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Support der Firma. Erfahrungsberichte anderer Kommunen, die bereits mit dem System arbeiten, bieten ebenfalls wertvolle Einblicke. Durch eine enge Vernetzung mit ihnen kann übergreifende Unterstützung schneller und effektiver organisiert werden, sofern gleiche Fachverfahren genutzt werden.

LP: Welche Erfahrungen habt ihr bisher mit der Umsetzung des OZG im Kyffhäuserkreis gemacht?

MH: Unsere bisherigen Erfahrungen mit der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) im Kyffhäuserkreis zeigen, dass viele Antragsstrecken unter dem Motto „lieber schnell als sicher“ veröffentlicht werden sollen, was wir als Landratsamt ablehnen. Besonders im Bereich der IT-Sicherheit sehen wir noch erheblichen Nachholbedarf, da hier zahlreiche Aspekte nicht ausreichend durchdacht wurden. Der Datenschutz wurde durch das OZG-Änderungsgesetz zuletzt etwas optimiert, was ein Schritt in die richtige Richtung ist. Wir lehnen jedoch eine oberflächliche Digitalisierung ab, bei der den Bürgern zwar digitale Lösungen präsentiert werden, die internen Arbeitsabläufe jedoch so kompliziert bleiben, dass sie die Bearbeitung verzögern. Dies würde letztlich nicht nur die Effizienz der Verwaltung beeinträchtigen, sondern auch die Bürger frustrieren. Dennoch sind wir zuversichtlich, dass wir uns allmählich auf dem richtigen Weg befinden.

LP: Welche Lehren habt ihr aus diesen Erfahrungen gezogen?

MH: Aus den bisherigen Erfahrungen haben wir wertvolle Lehren gezogen, insbesondere in Bezug auf die Zusammenarbeit und den Austausch. Wir haben erkannt, wie wichtig es ist, uns besser zu vernetzen und regelmäßig mit anderen Kommunen, Landesministerien und externen Partnern in Kontakt zu stehen. Ein Beispiel dafür ist die Gründung einer Arbeitsgruppe in Thüringen, die sich speziell mit der IT-Sicherheit von Antragsplattformen beschäftigt. Diese Gruppe testet alle OZG-Plattformen anhand vordefinierter Muster, indem sie beispielsweise manipulierte Dateien verwendet, und erstellt detaillierte Auswertungsprotokolle. Diese Protokolle werden transparent gemacht und stehen allen Kommunen in Thüringen zur Verfügung, sodass wir gemeinsam auf einer soliden Grundlage arbeiten und von den Erkenntnissen profitieren können.

LP: Welche Herausforderungen seht ihr für die Zukunft der digitalen Verwaltung?

MH: Zwei Highlight-Herausforderungen meiner Ansicht nach: Erstens neigen viele Verwaltungen dazu proprietäre Software zu kaufen, in der Hoffnung eigenes IT- Personal zu entlasten. Die Folge sind jedoch oft fehlende Schnittstellen zwischen den Hersteller-Systemen und das sog. Vendor-Lock-In (einmal im Universum einesHerstellers angekommen, ist es schwer wieder herauszufinden). Verwaltungen verlieren Souveränität über Software-Lösungen und zahlen langfristig hohe Lizenzgebühren – obwohl für viele Probleme quelloffene Alternativen verfügbar sind und moderne Entwickler Frameworks die Eigenprogrammierung vereinfachen. Zweitens liefert ein unkoordiniertes Ausrollen von OZG-Leistungen unter Zeitdruck den perfekten Nährboden für Sicherheitsschwachstellen, die gerne von Akteuren mit bösen Absichten ausgenutzt werden.

LP: Wie wichtig ist die Bürgerbeteiligung bei der Digitalisierung der Verwaltung?

MH: In der Software-Entwicklung ist user acceptance testing, Akzeptanztest, lange schon Standard. Um Bürger an digitalen Verwaltungsleistungen zu beteiligen, bedürfte es Akzeptanztests nicht nur für das digitale Frontend sondern auch für den gesamten Verwaltungsprozess. Das ist natürlich aus Sicht einer Verwaltung unpraktisch, langwierig und könnte zu unschönen Resultaten führen.

LP: Welche Tipps würdet ihr anderen Kommunen geben, die sich mit diesen Themen beschäftigen?

MH: Für andere Kommunen, die sich mit diesen Themen beschäftigen, wäre unser wichtigster Tipp, sich intensiv zu vernetzen und eng mit anderen Kommunen zusammenzuarbeiten. Es ist entscheidend, die Kräfte zu bündeln und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, denn viele der Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, sind nicht einzigartig. Durch den Austausch von Erfahrungen und bewährten Verfahren können Synergien genutzt und bessere Ergebnisse erzielt werden. Gemeinsam sind wir stärker und können effizienter und kostengünstiger vorgehen, um nachhaltige und zukunftssichere Lösungen für alle Bürger anzubieten.

LP: Danke Matthias für das ausführliche und spannende Interview - wir bleiben gespannt wie es in Thüringen weitergeht!

MH: Danke auch.

Dustin
Savarino
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